Commedia musicale

 

Welche Bedeutung die Musik für uns Commedianten hat . . .

         Unsere Stücke werden manchmal unterbrochen, aber nicht für Werbung, sondern zur seelischen Erbauung, leiblichen Kräftigung, Heilung verwundeter Seelen, geistigen Erquickung, unseres geschätzten Publikums.

         Während Donna Isabella das wunde Näschen schneuzt, Capitano seinen Säbel schärft und Arlecchino nach etwas Eßbarem Ausschau hält, ergreift Columbina die Flöte, und es erklingt eine alte Weise, die jedermann zu Herzen geht:

Schönste, die du mein Leben in Deinen Augen . . . 

         Danach: Wohin mit der Flöte? Was kommt jetzt? Florindo, Du mußt auf die Bühne! Florindo aber ist mal eben verschwunden, Giovanni zieht vorsichtshalber den Vorhang. Heilloses Durcheinander. Schnell, die Musik:

Basse danse "Jouissance vous donneray" 

         Der einzige Tanz, den Pantalones müde Knochen noch ertragen. Einmal über die Bühne und zurück. Verhaltenes Gähnen bei einigen Zuhörern. Donna Isabella tanzt mit Pantalone. Der keucht asthmatisch und wird hinterher wieder auf das Strohlager hinter der Bühne gebettet. Capitano trommelt zu schnell! Brighella zieht euphorisch den Zug aus seiner Posaune. Weiter! Nächste Theaterszene! Inzwischen hat der Regisseur Carlo Goldoni eine Kerze auf seinem  Korthold  entzündet und leert die zweite Flasche Wein, laut nach mehr Wein rufend:

Herr Wiert uns dürstet also sere, trag auf Wein! 

         Das Publikum bemüht sich tapfer um das Begreifen unzusammenhängender Zusammenhänge. Nach der Pause: Der Mönch Aegidius von Lanze horcht auf. Was ist das für ein ruchloser Gesang? Es ist die Rede von einem Pfaffen, der einem Bauern das Weib raubt.

Es fuhr ein pawr ins Holz mit seinem Hawen . . . 

         Großer Streit auf der Bühne. Wo bleibt die Moral? Wo der Anstand? Wo bleibt der Respekt vor der Geistlichkeit? Tja wo? Eben war er noch da. Schon ist er wieder weg. Da geht er hin! Pech! Schweren Herzens lassen wir ihn gehen! Das Stück darf nicht unterbrochen werden. Beatrice zeigt ihre Fechtkunst, Leandro übt dieselbe noch, und Arlecchino sattelt das Steckenpferd, um die

Bransle de Cheveaux 

vorzuführen. Einen großen Teil des Publikums hält es nicht mehr auf den Stühlen. Man tanzt fröhlich und ausgelassen ungefähr eine halbe Stunde lang. Anschließend beseitigt Giovanni naserümpfend den Pferdemist vom Pflaster, wobei Columbina sich mit Arlecchino über die Vorzüge ihrer Herren unterhält.

Meiner ist gut und nett . . . 

         Pantalone hat das Mundstück seiner  Rauschpfeife  verloren. Regisseur Carlo Goldoni ist nicht mehr einsatzfähig, Brighellas Posaune ist immer noch zweiteilig. Arlecchino holt sein Lieblingsinstrument hervor, ein  Wurstfagott.  Am Fuß desselben ist ein großes Stück herausgebissen. Dottore erscheint mit einem majetätisch anmutenden  Dulcian.  Dottore erklärt großspurig, sein Instrument sei nicht nur das größte, sondern habe auch den lieblichsten Klang. Selbstbewußt gibt er ein Beispiel, während einige Zuhörer fluchtartig von der ersten Reihe in die hinterste wechseln. Arlecchino probiert ein weiteres Stück von seinem Wurstfagott und trollt sich dann. Von weitem hört man ein Martinshorn. Kann das sein? Ein Notartzt? Nein! Es ist Brighella mit seinem  Soprankrummhorn.  Lautes, verzweifeltes Wehklagen hinter der Bühne. Columbina zerrt Donna Isabella auf die Bühne, die mit einem Degen Hand an sich legen will. Um Himmels Willen, Signora! Laßt mich, ich will sterben! Die Männer sind es doch gar nicht wert! Columbina entreißt der Verzweifelten den Degen, man atmet auf. Donna Isabella will sich nie wieder verlieben. Leandro erscheint auf Knien und fleht herzerweichend, von zarten Lautenklängen begleitet, um Donna Isabellas Liebe.

Matona mia cara 

         Weinend fallen sich beide in die Arme, das Publikum ist gerührt. Letzte Szene, letztes Lied. Arlecchino und Columbina entschließen sich, sofort zu heiraten und freuen sich auf den Festschmaus, zu dem alle eingeladen sind.

Al vol, al vol, al vol, al vol, al vol, al vol.
Bistu vol, so lege dich nyder,
stand off früh und folle dich wyder,
das ganze jor, den obind und den morgyn.

Fußnoten:

1   Pavane nach Toinot Arbeau (1589).

2   "Ich werde dir Freude geben!", nach Toinot Arbeau (16. Jhdt.). Tanz aus der Blütezeit des 15. Jhdts. Mit einem Schrittvokabular von nur fünf Schritten: langsame Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen.

3   Korthold: Historisches Windkapselinstrument, ähnelt eher einem Knüppel als einem Musikinstrument!

4   Nach Oswald von Wolkenstein (1377-1445).

5   Anonymus (15. Jhdt.), 2. Strophe:

Es fuhr ein pawr nach haus mit seyner hawen,
do lag der leydig pfarr auf seyner frawen.
Eff und iff und an,
umb und überdran.

6   Nach Toinot Arbeau (16. Jhdt.), Tanz für zwei Pferde Branle: Ein Tanz für sehr viele Mittänzer. Party-Charakter, flott und frisch. Die Tänze dauern so lange, bis den Tänzern die Lust vergeht.

7   Passereau (um 1540):

Il est bel et bon, commère, mon mary.
Il estoit deux femmes toutes d'un pays,
Disans l'une à l'autre: avez bon mary.
Il est bel et bon, commère, mon mary.
Il ne me courousse, ne me bat aussy.
Il fait le ménage, il donne aux poulailles,
Et je prends mes plaisirs.
Commère, c'est pour rire
Quant les poulailles crient:
Petite coquette, qu'esse cy?

8   Rauschpfeife: Eine Schalmei mit Windkapsel (16. Jhdt.). Das Wort geht auf das mittelalterliche "Rusch", d. h. Schilfrohr, zurück. Das Instrument ist wegen seiner Lautstärke unbedingt für das Spiel im Freien zu empfehlen.

9   Rankett (Wurstfagott), im 16. Jhdt. entwickelt. Die Bezeichnung entstammt den vielen inneren Windungen. Die zylindrische Röhre besteht aus neun parallelen Bohrungen. Wegen der vielen Windungen ist die Größe des Ranketts im Verhältnis zu seiner Tonlage erstaunlich gering. Michael Praetorius (16. Jhdt.) über das Instrument:

Um Resonantz seynd Sie gar stille, fast wie man durch 
	einen Kamm blaeset.

10   Dulcian, nach lat. dulcis (süß), Vorform des heutigen Fagotts.

11   Krummhorn: Windkapselinstrument in der Form eines Hakens. Es wurde unter Dampf zu seiner charakteristischen Form gebogen.

12   Orlando di Lasso (1581): Herzallerliebste, höre mein Lied . . .

13   Al vol: aus dem Glogauer Liederbuch (um 1480), einer Sammlung von Liedern, die man "bey guetem Essen und Trincken in den Wirtshaeusern allenthalben hoeren konnte."

 
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